Eilrechtsschutz gegen angekündigten („modernisierenden“) Balkonanbau – Besitzstörung ohne Duldungstitel des Vermieters
Wohnungsmietrecht – Landesgericht Berlin, Beschluss vom 1.3.2013 – 63 T 29/13
BGB §§ BGB § 554 BGB § 554 Absatz II, BGB § 862 f.; ZPO § ZPO § 93
1. Bereits die bloße Ankündigung einer Außenmodernisierung, die ihrerseits mit einer Störung des geschützten Besitzes des Mieters verbunden sein wird (hier: Anbau eines Balkons), stellt grundsätzlich eine Besitzstörung dar, deren Unterlassung der Mieter im Wege der einstweiligen Verfügung verlangen kann.
2. Ob dem Vermieter ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch zusteht, ist für den aus § BGB § 862 BGB § 862 Absatz I BGB folgenden Verfügungsanspruch des Mieters gem. § BGB § 863 BGB unbeachtlich.
3. Aus § BGB § 554 BGB § 554 Absatz II BGB folgt keine gesetzliche Gestattung i. S. des § BGB § 863 BGB zur Durchführung der mit der Modernisierungsmaßnahme verbundenen Besitzstörung. Der Vermieter ist deshalb zur Erwirkung eines gerichtlichen Duldungstitels verpflichtet, wenn der Mieter nicht sein Einverständnis zur Durchführung der seinen Besitz störenden Außenmodernisierung erteilt hat.
4. Die für den Verfügungsanspruch erforderliche ernsthafte Besorgnis einer bevorstehenden Besitzstörung entfällt nicht durch das bloße Versprechen des Vermieters, von der angekündigten Maßnahme abzusehen. Erforderlich ist insoweit grundsätzlich die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
LG Berlin, Beschl. v. 1. 3. 2013 – 63 T 29/13
Zum Sachverhalt
Die Vermieterin (Ag.) hat gegenüber ihrem Mieter (Ast.) mit frühestens am 20. 11. 2012 zugegangenem Schreiben vom 16. 11. 2012 angekündigt, im Zeitraum 17. 12. 2012 bis 8. 2. 2013 einen Balkon an die von ihm innegehaltene Wohnung anzubauen. Der Ast., der nach Zugang der Ankündigung nahezu sechs Wochen urlaubsbedingt ortsabwesend war, nimmt die Ag. mit seiner am 22. 1. 2013 beim AG eingegangenen einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der angekündigten Maßnahmen in Anspruch.
Das AG hat den Antrag im angefochtenen Beschluss mangels Verfügungsgrundes zurückgewiesen, da der Ast. mit seinem Antrag zu lange zugewartet habe und mit der Durchführung der angekündigten Maßnahmen bislang noch nicht begonnen worden sei. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Ast., der das AG nicht abgeholfen und die es der Kammer zur Entscheidung vorgelegt hat. Im Rahmen ihrer Beschwerdeerwiderung hat die Ag. erklärt, von der Durchführung der streitgegenständlichen Maßnahme vorerst Abstand genommen zu haben. Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen
II. Der Ast. ist gem. § BGB § 862 BGB § 862 Absatz I BGB in seinem Besitz an der streitgegenständlichen Wohnung durch die von der Ag. im Hause geplanten Modernisierungsmaßnahmen gestört; ausreichend sind insoweit bereits nicht lediglich unerhebliche Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen oder sonstige nicht lediglich unwesentlichen Gebrauchsbeeinträchtigungen (Kammer, NZM 2012, NZM Jahr 2012 Seite 859 = NJW-RR 2012, NJW-RR Jahr 2012 Seite 1229 = WuM 2012, WUM Jahr 2012 Seite 213; GE 2012, GE Jahr 2012 Seite 1231 = WuM 2012, WUM Jahr 2012 Seite 554 = ZMR 2013, ZMR Jahr 2013 Seite 113 = BeckRS 2012, BECKRS Jahr 19642). Solchen wäre der Ast. ausweislich seines gem. §§ ZPO § 936, ZPO § 920 ZPO § 920 Absatz II, ZPO § 294 ZPO § 294 Absatz I ZPO glaubhaft gemachten Vorbringens ausgesetzt, wenn die Ag. die streitgegenständliche Maßnahme tatsächlich durchführen würde. Denn es liegt auf der Hand, dass der angekündigte Anbau eines Balkons mit nicht lediglich unerheblichen Immissionen verbunden ist und zudem die Öffnung einer Außenwand der vom Ast. innegehaltenen Wohnung erfordert. Beides aber würde den Ast. in seinem geschützten Besitz an der Wohnung stören (BGH, NJW 1995, NJW Jahr 1995 Seite 132 – Lärm).
Dass die Ag. die beabsichtigte Modernisierungsmaßnahme bislang lediglich angekündigt hat, steht einer Besitzstörung nicht entgegen, da eine solche bereits in einem Verhalten liegt, das den Besitzer über den ungestörten Fortbestand seines Besitzes ernstlich beunruhigt (Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 858 Rdnr. 14 m. w. Nachw.; Joost, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. [2009], § 858 Rdnr. 5 m. w. Nachw.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn – wie hier – Vorbereitungen zu einem Bau an einem Grundstück getroffen werden, an dem der Anspruchsteller (Mit-)Besitz hat (Staudinger/Gutzeit, § 858 Rdnr. STAUDINGER BGB § 858 Randnummer 14). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Ankündigung von Modernisierungsmaßnahmen, die mit einer Besitzstörung des Mieters verbunden sind, grundsätzlich erfüllt. Eine davon abweichende Beurteilung ist lediglich dann gerechtfertigt, wenn es sich um eine von der Zutrittsgewährung des Mieters abhängige Innenmodernisierung handelt oder in der Modernisierungsankündigung unmissverständlich zum Ausdruck kommt, dass der Vermieter von den angekündigten Maßnahmen und deren – gem. § BGB § 554 BGB § 554 Absatz III 1 BGB mitzuteilendem – Beginn bis zur Erwirkung eines gerichtlichen Duldungstitels oder einer vorgerichtlichen Einverständniserklärung des Mieters absieht.
Zwar ist der Vermieter, der mit der Ankündigung einer Außenmodernisierung nur seinen sich aus § BGB § 554 BGB § 554 Absatz III 1 BGB folgenden Mitteilungspflichten nachkommt, damit stets dem Risiko ausgesetzt, im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung beabsichtigter Besitzstörungen in Anspruch genommen zu werden. Dem kann er aber einerseits durch eine Einschränkung seiner Modernisierungsankündigung im vorgenannten Sinne begegnen. Andererseits ist es ihm selbst im Falle einer unmittelbaren gerichtlichen Inanspruchnahme durch den Mieter nach Zugang der Modernisierungsankündigung möglich, den geltend gemachten Unterlassungsanspruch sofort anzuerkennen und so die Kostentragungspflicht gem. § ZPO § 93 ZPO auf den Mieter abzuwälzen. Denn ein Mieter, der den Vermieter ohne vorgerichtliche Aufforderung auf Unterlassung angekündigter Modernisierungsmaßnahmen in Anspruch nimmt, wird i. d. R. Veranlassung zur Klageerhebung gem. § ZPO § 93 ZPO gegeben haben. Dass der vom Vermieter behauptete materiell-rechtliche Duldungsanspruch sodann im Wege der Duldungsklage durchzusetzen ist, entspricht der Rechtslage bei einer beabsichtigten Innenmodernisierung, die es dem Vermieter ebenfalls nicht gestattet, den Besitz des Mieters zur Durchsetzung seines Duldungsanspruchs ohne Erwirkung eines gerichtlichen Duldungstitels zu stören.
Gemessen an diesen Grundsätzen muss der Ast. seit Zugang der Modernisierungsankündigung vom 16. 11. 2012 über den ungestörten Fortbestand seines Besitzes ernstlich besorgt sein: Einerseits hat die Ag. die beabsichtigten Baumaßnahmen für den Balkon darin ausdrücklich für die Zeit vom 17. 12. 2012 bis 8. 2. 2013 angekündigt. Andererseits hat sie deren Durchführung nicht von einem zuvor erklärten Einverständnis des Ast. oder der Erwirkung eines gerichtlichen Duldungstitels abhängig gemacht.
Dass die angekündigten Maßnahmen von der Ag. bislang nicht umgesetzt worden sind, ändert an der berechtigten Besorgnis des Ast. ebenso wenig wie die im Rahmen der Beschwerde abgegebene Erklärung der Ag., von den beabsichtigten Maßnahmen zwischenzeitlich Abstand genommen haben. Denn bei Besitzstörungen entfällt die auf Tatsachen gegründete objektive ernstliche Besorgnis weiterer Störungen nicht durch das bloße Versprechen, die störende Handlung nicht mehr vorzunehmen. Erforderlich ist vielmehr die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (BGH, NZM 2013, NZM Jahr 2013 Seite 44 = NJW 2012, NJW Jahr 2012 Seite 3781 Rdnr. NJW Jahr 2012 Seite 3781 Randnummer 12 m. w. Nachw.).
Eine solche indes hat die Ag. unstreitig nicht abgegeben, sondern stattdessen lediglich erklärt, künftige Arbeiten „erst nach einer zu gegebener Zeit auszusprechenden Ankündigung” durchzuführen, ohne aber deren Durchführung von einer vorherigen Zustimmung des Ast. oder der Erwirkung eines gerichtlichen Duldungstitels abhängig zu machen. Dies indes lässt die ernstliche Besorgnis der künftigen Besitzstörung nicht entfallen.
Es ist für den Bestand des Verfügungsanspruchs unerheblich, ob der Ast. materiell-rechtlich gem. § BGB § 554 BGB § 554 Absatz II BGB zur Duldung der streitgegenständlichen Maßnahmen verpflichtet ist. Denn insoweit handelt es sich um eine gem. § BGB § 863 BGB bereits grundsätzlich unbeachtliche petitorische Einwendung. Beachtlich wäre allein die – nicht erhobene – Einwendung der Ag. gewesen, der Ast. sei mit den Maßnahmen einverstanden oder letztere beruhten auf einer gesetzlichen Gestattung (Kammer, GE 2012, GE Jahr 2012 Seite 1231 = WuM 2012, WUM Jahr 2012 Seite 554 = ZMR 2013, ZMR Jahr 2013 Seite 113 = BeckRS 2012, BECKRS Jahr 19642). Der Ast. hat sich jedoch mit der streitgegenständlichen Maßnahme weder einverstanden erklärt, noch liegt eine gesetzliche Gestattung vor. Von letzterer ist nur auszugehen, wenn ein Gesetz die eigenmächtige Entziehung oder Störung fremden Besitzes gestattet. Eine entsprechende Gestattung enthält § BGB § 554 BGB § 554 Absatz II BGB – anders als etwa die §§ BGB § 227, BGB § 229, BGB § 562 b BGB § 562B Absatz I, BGB § 581 BGB § 581 Absatz II, BGB § 592, BGB § 859 BGB § 859 Absatz II bis BGB § 859 Absatz IV, BGB § 860, BGB § 904, BGB § 910, BGB § 962 BGB – nicht. Normen, die wie § BGB § 554 BGB § 554 Absatz II BGB lediglich einen Anspruch auf Einräumung oder Beeinträchtigung des Besitzes gewähren, rechtfertigen nicht die eigenmächtige Durchsetzung. Solche Ansprüche dürfen nur auf dem Klagewege durchgesetzt werden (vgl. BGH, NJW 1971, NJW Jahr 1971 Seite 1359 = VersR 1971, VERSR Jahr 1971 Seite 765; Staudinger/Gutzeit, § 858 Rdnr. STAUDINGER BGB § 858 Randnummer 22); auf diesen ist der Vermieter – ebenso wie bei der Innenmodernisierung – zumindest dann zu verweisen, wenn die beabsichtigten Modernisierungsmaßnahmen den Mieter in seinem geschützten Besitz beeinträchtigen und er nicht vorab sein Einverständnis zu deren Durchführung erteilt hat.
Davon ausgehend bedurfte die Frage, ob ein Verfügungsanspruch des Ast. unabhängig von der hier zu besorgenden Besitzstörung allein deshalb zu bejahen ist, weil sein passives Verhalten ansonsten als Zustimmung zur Durchführung der streitgegenständlichen Maßnahmen mit Rechtsnachteilen für eine spätere Mietzinserhöhung nach den §§ BGB § 559 ff. BGB auszulegen wäre (vgl. dazu KG, NJW-RR 1992, NJW-RR Jahr 1992 Seite 1362 = WuM 1992, WUM Jahr 1992 Seite 514; OLG Stuttgart, NJW-RR 1991, NJW-RR Jahr 1991 Seite 1108), keiner abschließenden Entscheidung der Kammer.
Dem Ast. steht auch ein Verfügungsgrund gem. §§ ZPO § 935 ff., ZPO § 920 ZPO § 920 Absatz II ZPO zur Seite. Ein solcher ergibt sich bereits aus der Natur des beantragten Unterlassungsanspruchs, da eine verbotene Eigenmacht den Verfügungsgrund auch ohne gesonderten Vortrag des Ast. stets indiziert und eine besondere Dringlichkeit nicht erforderlich ist (Kammer, GE 2012, GE Jahr 2012 Seite 1231 = WuM 2012, WUM Jahr 2012 Seite 554 = ZMR 2013, ZMR Jahr 2013 Seite 113 = BeckRS 2012, BECKRS Jahr 19642; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl. [2012], § 940 Rdnr. 8 „Herausgabe und Sequestration, Räumung und Besitzschutz“ m. w. Nachw.).
Der Ast. hat den Verfügungsgrund auch nicht durch zu langes Zuwarten bis zur Beantragung der einstweiligen Verfügung selbst widerlegt. Die Notwendigkeit für eine einstweilige Verfügung kann zwar in Folge Selbstwiderlegung durch längeres Zuwarten in Kenntnis der sie rechtfertigenden Umstände entfallen; für die noch hinzunehmende Zeitspanne (i. d. R. vier Wochen im Wettbewerbsrecht, ansonsten bis zu drei Monaten) sind die Besonderheiten des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwierigkeit tatsächlicher und rechtlicher Art maßgeblich (Musielak/Huber, ZPO, 9. Aufl. [2012], § 940 Rdnr. 4). Gemessen daran hat der Ast. mit seinem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung nicht zu lange zugewartet.
Denn er hat seinen Antrag nicht erst nach mehr als drei Monaten, sondern bereits zwei Monate nach Zugang der Modernisierungsankündigung erhoben, wobei zu seinen Gunsten insbesondere zu berücksichtigen war, dass er während der von ihm abgewarteten zwei Monate nahezu sechs Wochen urlaubsbedingt ortsabwesend war (vgl. LAG Rheinland/Pfalz, Urt. v. 6. 12. 2012 – 10 SaGa 11/12, BeckRS 2013, BECKRS Jahr 65583 Rdnr. BECKRS Jahr 2013 Randnummer 48).
(Mitgeteilt von der 63. Zivilkammer des LG Berlin)