Entscheidung über Recht zur Anbringung einer Satellitenschüssel für ausländische Mieter nur nach Einzelfallabwägung

Wohnungsmietrecht – BVerfG

Will ein ausländischer Mieter eine Parabolantenne installieren, ist sein Interesse am Empfang von Rundfunkprogrammen seines Heimatlandes in die erforderliche Abwägung mit den Eigentümerinteressen des Vermieters einzustellen. Dabei ist auch die besondere Situation ethnischer Minderheiten zu berücksichtigen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 31.03.2013 entschieden und seine bisherigen Grundsätze zur Anbringung von Parabolantennen durch Mieter bekräftigt (Az.: 1 BvR 1314/11).

 

Parabolantenne zum Empfang eines Programms in turkmenischer Sprache

Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige turkmenischer Abstammung. Sie fühlen sich einer in der Türkei lebenden turkmenischen Minderheit zugehörig, die eigenen Traditionen und der turkmenischen Sprache verbunden geblieben ist. An der Gebäudefassade ihrer Mietwohnung brachten sie ohne die mietvertraglich erforderliche Zustimmung der Vermieterin eine Parabolantenne an. Mit dieser wollten sie ein nur über Satellit verfügbares Programm über die turkmenische Region sowie die dort lebenden Menschen empfangen, das ganztägig in türkischer und turkmenischer Sprache ausgestrahlt wird.

 

Vermieterin klagt erfolgreich auf Beseitigung und Unterlassung

Die Vermieterin verlangte die Beseitigung der Parabolantenne und nach der Entfernung die Unterlassung einer erneuten Anbringung. Amtsgericht und Landgericht gaben ihr Recht. Gegen diese beiden Entscheidungen erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde. Sie rügten die Verletzung ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 GG.

 

BVerfG: Abwägung erforderlich

Das BVerfG hat die beiden Gerichtsentscheidungen aufgehoben und die Sache an das AG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet. Im Rahmen der Darlegung des Prüfungsmaßstabs bekräftigt das BVerfG seine bisherigen Grundsätze. Die Installation einer Parabolantenne sei vom Schutzbereich des Grundrechts auf Informationsfreiheit umfasst. Im Rahmen zivilgerichtlicher Streitigkeiten über die Installation einer Parabolantenne müssten die Gerichte eine Abwägung zwischen den Eigentümerinteressen des Vermieters an der – auch optisch – ungeschmälerten Erhaltung des Wohnhauses und den Informationsinteressen des Mieters an der Nutzung zugänglicher Informationsquellen vornehmen. Halten die Zivilgerichte den Vermieter danach nicht für verpflichtet, eine Parabolantenne des Mieters zu dulden, wenn er dem Mieter einen Kabelanschluss bereitstellt, sei dies in der Regel nicht zu beanstanden.

 

Informationsinteresse ausländischer Staatsangehöriger erstreckt sich auf Empfang von Heimatprogrammen

Allerdings, so das BVerfG weiter, trage dieser Grundsatz dem besonderen Informationsinteresse dauerhaft in Deutschland lebender ausländischer Staatsangehöriger nicht in allen Fällen ausreichend Rechnung. Sie seien daran interessiert, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen, um sich über das dortige Geschehen unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung zu ihrem Heimatland aufrechterhalten zu können. Sei eine angemessene Zahl von Programmen aus dem jeweiligen Heimatland nicht über den vom Vermieter bereitgestellten Kabelanschluss, sondern nur über eine Parabolantenne zu empfangen, müsse das Interesse der ausländischen Mieter am Empfang von Rundfunkprogrammen ihres Heimatlandes bei der Abwägung mit den Eigentümerinteressen des Vermieters berücksichtigt werden. Berücksichtigt werden dürfe aber auch, in welchem Umfang der Mieter Programme seines Heimatlandes bereits ohne eigene Parabolantenne empfangen könne und ob er über die bereitgestellte Empfangsanlage gegen angemessenes Entgelt ein zusätzliches Programmangebot nutzen könne.

 

Instanzgerichte haben spezifisches Informationsinteresse der Beschwerdeführer unzureichend berücksichtigt

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Entscheidungen von AG und LG die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 2 GG verletzen. Beide Gerichte hätten das spezifische Informationsinteresse der Beschwerdeführer nicht ausreichend berücksichtigt und damit die Bedeutung des Grundrechts der Informationsfreiheit verkannt. Das AG habe das Informationsinteresse der Beschwerdeführer schon deshalb nicht ausreichend berücksichtigt, weil es seiner Abwägung – ohne sachhaltige Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer – die Annahme zugrunde gelegt hat, Turkmenisch sei lediglich ein türkischer Dialekt, nicht aber eine eigene Sprache. Das LG habe zwar zumindest auch hilfsweise die Annahme zugrunde gelegt, Turkmenisch sei eine eigene Sprache. Es habe dann aber mit einem schlichten feststellenden Satz das Ergebnis der amtsgerichtlichen Interessenabwägung bestätigt, ohne dies irgendwie weiter zu begründen. Damit sei nicht nachvollziehbar, ob und wie das LG das spezifische Interesse der Beschwerdeführer, in turkmenischer Sprache Informationen über die turkmenische Minderheit in der Türkei zu erhalten, gewürdigt und gewichtet hat.

 

Prägen Turkmenisch und turkmenische Traditionen den Alltag der Beschwerdeführer?

Für die nun vom AG nachzuholende Interessenabwägung weist das BVerfG darauf hin, dass das Gericht auch berücksichtigen müsse, inwieweit die Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass sie im Alltag tatsächlich turkmenisch sprechen und turkmenische Traditionen pflegen, obwohl sie nie in den turkmenischsprachigen Herkunftsgebieten ihrer Vorfahren gewohnt haben. Zu berücksichtigen sei ferner, ob das von ihnen geltend gemachte besondere Informationsinteresse auch mittels der türkischen Programme gedeckt werden könne, die über die vorhandene zentrale Satellitenempfangsanlage verfügbar seien.