Auslegung der Gemeinschaftsordnung bezüglich der Kostentragung für die Instandhaltung und Instandsetzung bzw. Erneuerung der Fenster im Bereich des Sondereigentums.

Wohnungseigentumsrecht – Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.03.2012 – V ZR 174/11

Die vollständige Erneuerung der Fenster im Bereich des Sondereigentums ist im Zweifel auch dann Sache der Wohnungseigentümergemeinschaft, wenn die laufende Instandhaltung (Innenanstrich) Sache des jeweiligen Sondereigentümers ist.

 

Leitsatz

Weist die Gemeinschaftsordnung die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung der Fenster nebst Rahmen in dem räumlichen Bereich des Sondereigentums den einzelnen Wohnungseigentümern zu und nimmt dabei den Außenanstrich aus, ist eine vollständige Erneuerung der Fenster im Zweifel Sache der Gemeinschaft.(Rn.9)

 

Orientierungssatz

Zitierungen: Entgegen OLG Düsseldorf, 23. November 1998, 3 Wx 376/98, NZM 1999, 277 und BayObLG München, 28. April 1993, 2Z BR 47/92, WuM 1993, 562.

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 27. Juni 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Abweisung der Klage im Hinblick auf den Antrag, das in der Wohnung des Klägers vorhandene Dachflächenfenster auszutauschen und entstandene Gutachterkosten zu erstatten (Berufungsanträge zu III Nr. 1 und 3) sowie im Hinblick auf die Ungültigerklärung der entsprechenden Beschlüsse der Eigentümerversammlung (Berufungsantrag zu II) bestätigt worden ist.

 

Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 14. Dezember 2010 auf die Berufung des Klägers teilweise geändert. Der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 7. Juli 2010 zu TOP 5a, Nr. I wird für ungültig erklärt.

 

Die Beklagten werden verurteilt, folgenden Maßnahmen zuzustimmen:
Das in der Küche der Wohnung des Klägers vorhandene Dachflächenfenster und die dazugehörige Laibung sind auf Kosten der Wohnungseigentümergemeinschaft auszubauen. Es ist ein vollwertiges Wohnraumdachfenster fachgerecht mit einer standardgemäßen Isolierung einzubauen.

 

Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

1
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Gemäß § 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung hat jeder Wohnungseigentümer unter anderem die von ihm allein genutzten Gegenstände auf eigene Rechnung ordnungsgemäß zu pflegen, instandzuhalten und instandzusetzen. In dem räumlichen Bereich seines Sondereigentums treffen den einzelnen Wohnungseigentümer deshalb unabhängig von der Zuordnung zu dem Sonder- und Gemeinschaftseigentum bestimmte Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten, die beispielhaft genannt werden. Dazu gehören zunächst Schönheitsreparaturen einschließlich des Anstrichs der Innenseite der Fenster samt Rahmen. Weiter wird die Behebung von Glasschäden und die Instandhaltung und Instandsetzung der Außenfenster samt Fensterrahmen und Rollläden aufgeführt. In diesem Zusammenhang heißt es, soweit dabei die Außenansicht betroffen werde, sei eine einheitliche Ausführung unabdingbar; daher sei die Erneuerung des Außenanstrichs der Fenster samt Rahmen und Rollläden Sache der Eigentümergemeinschaft.

 

2
Im Juni 2006 traten in der Wohnung des Klägers Feuchtigkeitsschäden auf. Nachdem die Verwaltung keine Maßnahmen zur Ermittlung der Schadensursache ergriff, beauftragte der Kläger einen Privatgutachter. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass das in der Küche eingebaute Dachflächenfenster für eine solche Verwendung ungeeignet und durch ein Wohnraumdachfenster zu ersetzen sei. In einer Eigentümerversammlung im Jahr 2008 beantragte der Kläger erfolglos sowohl den Ersatz der Gutachterkosten als auch den Ausbau und die fachgerechte Erneuerung des Dachfensters. In der Versammlung vom 14. Juli 2010 wiederholte der Kläger seine Anträge, die erneut abgelehnt wurden. Mit der Klage will er unter anderem die ablehnenden Beschlüsse für ungültig erklären lassen und die Zustimmung der Beklagten zu der Durchführung der begehrten Maßnahmen erreichen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist – soweit hier von Interesse – erfolglos geblieben. Mit der insoweit zugelassenen Revision verfolgt er seine zuletzt gestellten, auf Ausbau und Erneuerung des Dachfensters nebst Laibung sowie Ersatz der Gutachterkosten bezogenen Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.
3

Das Berufungsgericht meint, die nicht angefochtenen Negativbeschlüsse aus dem Jahr 2008 stünden der Klage nicht entgegen, weil sie sich in der Ablehnung der Anträge erschöpften. Die Erneuerung des Dachfensters sei gemäß § 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung Sache des Klägers, der demzufolge auch die Gutachterkosten zu tragen habe. Eine derartige Bestimmung erfasse entgegen einer verbreiteten Auffassung auch die Beseitigung eines – dem Privatgutachten zufolge hier vorliegenden – anfänglichen Mangels. Der Begriff der Instandsetzung beziehe sich nach dem Wortlaut ebenso wie nach Sinn und Zweck der Regelung auch auf die erstmalige ordnungsmäßige Herstellung.

 

II.
4

Die Revision ist in zulässiger Weise auf die Erneuerung des Dachfensters und Erstattung der Gutachterkosten beschränkt worden. Die darauf bezogenen Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

 

5
1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Bestandskraft der Negativbeschlüsse aus dem Jahr 2008 der Klage nicht entgegensteht. Die unterlassene Anfechtung eines ablehnenden Beschlusses entfaltet keine Sperrwirkung für inhaltsgleiche Anträge (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51). Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung eines Negativbeschlusses ist regelmäßig anzunehmen (Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 114/09, BGHZ 184, 88 Rn. 13); zudem hat der Kläger die Anfechtung mit einem Antrag auf Zustimmung zu der Durchführung der begehrten Maßnahmen verbunden.

 

6
2. Zu Unrecht sieht das Berufungsgericht die Erneuerung des Dachfensters als Aufgabe des Klägers an.

 

7
a) Die Fenster nebst Rahmen stehen gemäß § 5 Abs. 2 WEG zwingend im Gemeinschaftseigentum (OLG Karlsruhe, NZM 2011, 204; Armbrüster in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 5 Rn. 71). Dies hat nach der gesetzlichen Kompetenzzuweisung zur Folge, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für ihren Austausch zuständig ist (§ 21 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 2 WEG bzw. § 22 WEG) und die damit verbundenen Kosten zu tragen hat (§ 16 Abs. 2 WEG). Durch Vereinbarung können die Wohnungseigentümer hiervon abweichen, sofern sie eine klare und eindeutige Regelung treffen. Im Zweifel bleibt es bei der gesetzlichen Zuständigkeit (KG, ZMR 2009, 135, 136; AG Hannover, ZMR 2010, 483 f.; AG Pinneberg, ZMR 2005, 157, 158; vgl. auch BayObLG, ZMR 1996, 574).

 

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b) Eine solche abweichende Regelung der Instandhaltung und Instandsetzung der Fenster und der damit verbundenen Kosten enthält § 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung. Die Auslegung einer derartigen, in dem Grundbuch in Bezug genommenen Bestimmung unterliegt vollen Umfangs der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgebend sind ihr Wortlaut und ihr Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt, weil sie auch die Sonderrechtsnachfolger der Wohnungseigentümer bindet. Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Senat, Urteil vom 10. September 1998 – V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 291 ff.).

 

9
c) Die Auslegung durch den Senat ergibt, dass § 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung den Austausch des Fensters nicht dem Kläger, sondern den Beklagten zuweist, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen anfänglichen oder um einen nachträglichen Mangel handelt. Ausdrücklich wird nur die „Erneuerung des Außenanstrichs“, nicht aber die vollständige Erneuerung der Fenster geregelt. Die erforderliche eindeutige Zuweisung auch dieser Aufgabe an den einzelnen Wohnungseigentümer lässt sich der Gemeinschaftsordnung nicht entnehmen. Für eine Zuständigkeit des Sondereigentümers hinsichtlich der Erneuerung spricht zwar auf den ersten Blick, dass ihm nicht nur der Innenanstrich und die Behebung von Glasschäden, sondern auch die Instandhaltung und Instandsetzung der Außenfenster samt Fensterrahmen obliegen. Damit wird nicht nur die Kostenlast geregelt (zu einer derartigen Regelung vgl. Senat, Urteil vom 10. Juni 2011 – V ZR 2/10, NZM 2011, 589), sondern auch die Verwaltungsbefugnis im Hinblick auf diesen Teil des Gemeinschaftseigentums.

 

In dem gesetzlichen Sprachgebrauch umfasst die Instandhaltung und Instandsetzung auch einen Austausch (vgl. Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 21 Rn. 89). Die erforderliche Auslegung der differenzierten Regelung in ihrem Gesamtzusammenhang spricht aber dafür, dass der Begriff der Instandhaltung und Instandsetzung enger gemeint ist und nicht die vollständige Erneuerung, sondern nur die übliche Pflege, die Wartung und die Reparatur der vorhandenen Fenster erfasst. Denn die Erneuerung des Außenanstrichs der Fenster samt Rahmen wird der Eigentümergemeinschaft zugewiesen. Das erlaubt nicht den Schluss, dass alle anderen Maßnahmen dem einzelnen Wohnungseigentümer obliegen (so aber – jeweils für ähnliche Klauseln – OLG Düsseldorf, NZM 1999, 277; BayObLG, WuM 1993, 562; ZfIR 2004, 23 f.), sondern führt im Zweifel dazu, dass der Austausch der Fenster Gemeinschaftsaufgabe ist; behält sich die Gemeinschaft schon den Außenanstrich vor, gilt dies erst recht für die vollständige Erneuerung. Mit einer solchen Regelung wollen die Wohnungseigentümer nämlich eine einheitliche Außenansicht des Gebäudes sicherstellen. Ein Austausch der Fenster kann die Außenansicht in gleichem oder noch stärkerem Maße als ein Anstrich beeinflussen. In der hier verwendeten Klausel ist dieser Zweck sogar ausdrücklich festgehalten worden, weil eine einheitliche Ausführung von Maßnahmen, die die Außenansicht betreffen, als „unabdingbar“ bezeichnet und der Außenanstrich aus diesem Grund der Gemeinschaft zugewiesen wird.

 

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3. Ein Anspruch auf Zustimmung zu dem Ersatz der Gutachterkosten scheidet danach nicht – wie das Berufungsgericht meint – schon deshalb aus, weil die Erneuerung des Dachfensters Sache des Klägers war.

 

III.
11

Das Urteil kann aus diesem Grund keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Im Hinblick auf die Zustimmung zu dem Austausch des Dachfensters und die Anfechtung des darauf bezogenen ablehnenden Beschlusses kann der Senat in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils insoweit nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Nach den in dieser Hinsicht nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Fenster erneuerungsbedürftig; der Kläger kann die Maßnahme gemäß § 21 Abs. 4 WEG verlangen. Im Übrigen ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil sich das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – mit dem Anspruch auf Ersatz der Gutachterkosten bislang nicht näher befasst und insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat.